Software: FEM - Tutorial - FEM-Prozess - Materialgrenzen
Grenzflächen zwischen verschiedenen Materialien (repräsentiert durch unterschiedliche Properties) bereiten erfahrungsgemäß in Hinblick auf sinnvolle Berechnungsergebnisse häufig Probleme. Dies soll am Beispiel der Grenzfläche zwischen Bolzen und Platte erläutert werden.
Hinweis: Kontinuierliche Farbverläufe sehen zwar sehr hübsch aus, erschweren bzw. verhindern aber bei der Auswertung das Erkennen von Details in den Feldverläufen. Falls noch nicht geschehen, sollte man den Contour Type umschalten auf Level Colors (View Options <F6> ).
Die "Sprünge" im Spannungsverlauf resultieren aus den unterschiedlichen E-Modulen von Bolzen- und Plattenmaterial (ca. Faktor 1,5):
- Die Knoten der Grenzschicht gehören gleichzeitig zu Elementen mit unterschiedlichen Eigenschaften.
- Die Positionen (Verschiebungen) dieser Knoten werden als Ergebnisgrößen des Solvers immer "richtig" berechnet.
- Aber den Knoten der Grenzschichten lässt sich keine eindeutige Spannung zuordnen (Spannungssprung im Knoten!).
- Der MEANS-Solver übergibt für alle Elemente zugeordnet die richtigen Knotenwerte, so kann jeder Knoten auch mehrere Spannungswerte besitzen (je nachdem, zu wie vielen Elementen er gehört!).
- Aus diesen Knotenwerten wird im FEMAP nur dann ein sinnvoller Farbverlauf erzeugt, wenn man in den Contour-Options (Unterdialog von View-Select <F5>) Contour Type=Elemental aktiviert hat:
- Wurde Contour Type=Nodal gewählt, so werden die Spannungsverläufe in den Elementen, welche direkt an der Grenzfläche liegen, falsch dargestellt:
- Wenn man nicht weiß, dass an der Materialgrenze Spannungssprünge existieren müssen, würde man bei dieser fehlerhaften Darstellung keinen Verdacht schöpfen!
Die Ursache für die real exitierenden Spannungssprünge an Materialgrenzen wollen wir deshalb im Folgenden an Extrem-Fällen durch den Aufbau zweier einfacher FEM-Modelle näher untersuchen:
Zug-/Druck-Belastung der Grenzfläche
Wir betrachten ein 3 mm dickes "Blech" der Größe 10x20 mm² (Datei Zug-Druck_xx.MOD). Dieses wird (wie in unserem Übungsbeispiel) in Längsrichtung mit einer Zugkraft von 1000 N belastet und ist auf einer Seite fest eingespannt. In der Belastungsrichtung setzt sich das Blech aus zwei gleich großen Hälften zusammen (Stahl C35 und Ti6246):
- Die Hauptbelastung wirkt praktisch senkrecht zur Grenzfläche.
- Eingespannt ist das Ti6246-Material (rechte Seite).
- Die Zugkraft greift an der Stahl-Hälfte an (linke Seite).
- Die Contour-Darstellung der Mises-Spannung ergibt die folgende Spannungsverteilung:
- Die Materialien sind durch unterschiedliche Materialfarben gekennzeichnet (Elementränder: Stahl=braun / Titan=weiß).
- Die Grenzfläche hebt sich deutlich ab. Das relativiert sich jedoch, wenn man die Criteria-Werte einblendet.
- An der Grenzfläche weichen die Werte der Mises-Spannung nur um ca. 4 bis 5% von der idealisierten Zugspannung ab (Bild rechts). In die Vergleichsspannung nach Mises fließen die einzelnen Hauptspannungsrichtungen gewichtet ein. Wir betrachten diese einzelnen Hauptspannungen nun separat, zuerst SIG-XX als Spannung in X-Richtung (Bild links):
- Durch die Zugbelastung wird das Blech insgesamt gestreckt:
- Die Titan-Hälfte mit dem kleineren E-Modul wird dabei anteilig stärker gedehnt.
- Infolge der Streckung kommt es zu einer Einschnürung orthogonal zur Dehnungsrichtung. Eine größere Dehnung führt bei ähnlicher Querkontraktionszahl der Materialien zu einer größeren Einschnürung.
- Aus der unterschiedlichen Querkontraktion der Blechhälften resultiert eine Krümmung der Materialgrenzfläche.
- Der Einfluss dieser Verformung auf SIG-XX ist an den beiden Rändern der Grenzfläche am größten. Die Abweichung von ca. 1% von der idealisierten Zugspannung steht jedoch in keiner Relation zu dem Verhältnis der beiden E-Module von ca. 2 und kann praktisch vernachlässigt werden.
- Der Einfluss der Materialverformung auf die Hauptspannung SIG-YY ist wesentlich markanter. Infolge der Grenzflächenkrümmung kommt es auf der einen Seite zu einer Zug- und auf der anderen Seite zu einer Druckbelastung. Dies widerspiegelt sich im unterschiedlichen Vorzeichen der Spannungswerte (Bild links):
- Da der Betrag von SIG-YY nur ca. 10% des Betrages von SIG-XX beträgt, ist der Einfluss auf die resultierende Vergleichsspannung nach Mises relativ gering.
- Abschließend zur "Zug-Belastung" der Grenzfläche nun noch die Scherspannung SIG-XY (obiges Bild rechts).
- Merkliche Scherspannungsunterschiede an der Grenzfläche existieren praktisch nur an den Rändern. Ihr Einfluss auf die Vergleichsspannung nach Mises ist betragsmäßig gering.
Zusammenfassung:
- Auch bei einer "Zug-/Druckbelastung" von Materialgrenzen kommt es für die Werte der Materialspannungen zu Sprüngen an der Grenzfläche. Diese Sprünge resultieren aus der praktisch immer vorhandenen Belastung parallel zur Grenzfläche.
- Die Verformung der Materialien entlang der Grenzfläche ist an allen Punkten immer exakt gleich.
- In allen Punkten der Grenzfläche wirkt im statischen Gleichgewicht immer die gleiche Kraft auf beide Materialien:
- Entlang der Grenzfläche kann man sich die beiden Materialien als parallel geschaltene Federn mit unterschiedlicher Federsteife vorstellen.
- Dabei kommt es zu einer Kraftaufteilung. Die weichere Feder (kleinerer E-Modul) erzeugt eine geringere Kraft als die härtere Feder, da beide Federn an der Grenzfläche exakt die gleiche Verformung Δx besitzen (F=c·Δx).
- Daraus resultieren unterschiedliche mechanische Spannungen σ = Kraft/Fläche.
- Die Spannungssprünge der resultierenden Mises-Vergleichsspannung sind in der Praxis für diesen Belastungsfall meist nur gering. In unserem Modell Platte2_xx.MOD erkennt man dies deutlich in der Nähe der Symmetrielinie des Blechs, wo die Belastung vorwiegend senkrecht auf die Grenzfläche zwischen Bolzen und Blech wirkt. Dort gehen die Isolinien des Mises-Spannungsfeldes ohne Versatz durch die Grenzfläche.
Schub-Belastung der Grenzfläche
Bei der Zug-/Druck-Belastung einer Materialgrenze resultierten die Belastungssprünge überwiegend aus der als Neben-Effekt vorhandenen Schub-Belastung der Grenzfläche.
Deshalb soll im Folgenden in einem zweiten Modell nun die "reine" Schub-Belastung einer Materialgrenze betrachtet werden (Datei Schub_xx.MOD). Wir untersuchen wieder ein 3 mm dickes Blech, diesmal der Größe 6x60 mm². Dieses wird in Längsrichtung mit einer Zugkraft von 1000 N belastet und ist auf einer Seite fest eingespannt. Das Blech ist längs in zwei gleich große Hälften geteilt (oben Stahl C35 und unten Ti6246):
- Die Hauptbelastung wirkt praktisch längs zur Grenzfläche.
- Eingespannt ist die rechte Seite.
- Die Zugkraft greift an der linke Seite an.
- Die Vernetzung an der Seite der Krafteinleitung wurde verfeinert (Mesh > Editing > Interaktive .. ).
- Dargestellt ist der Verlauf der Mises-Spannung:
- Bei dieser Scherbelastung tritt an der Materialgrenze ein Belastungssprung für die Mises-Vergleichsspannung auf, der ungefähr dem Verhältnis der E-Module entspricht (202/114=1,77 ≈ 1,55=70,6/45,4).
- Die Abweichung vom exakten Verhältnis der E-Module resultiert daraus, dass an der Grenzfläche infolge der Verformung keine "reine" Schubbelastung existiert.
Zusammenfassung:
- Bei einer "Schub-Belastung" von Materialgrenzen kommt es näherungsweise zum maximal möglichen Belastungssprung, welcher dem Verhältnis der E-Module entspricht.
- Im Material mit dem höheren E-Modul entsteht an der Grenzfläche die höhere Spannung.
- In unserem Modell Platte2_xx.MOD erkennt man diesen Belastungssprung deutlich am oberen Rand des Bolzens, wo die Belastung vorwiegend parallel zur Grenzfläche zwischen Bolzen und Blech wirkt. Dort existiert der stärkste Versatz der Isolinien des Mises-Spannungsfeldes.